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Sonder-Ausstellungen im LWL Museum für Archäologie in Herne

Sonderaustellung 2020: “Pest”

Lange bevor es das Coronavirus gab, haben in Europa ganz andere Krankheiten gewütet. Eine der verheerendsten Pandemien war die Pest. Im Mittelalter fiel ihr ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer. Aber auch noch lange darüber hinaus hat sie rund um den Globus Millionen Menschen getötet. Das LWL-Museum für Archäologie in Herne zeigt in einer großen Sonderausstellung die Geschichte des "Schwarzen Todes" und seine Auswirkungen auf die Menschheit.

Von der Steinzeit über die Spätantike, vom ‚Schwarzen Tod‘ des Mittelalters bis zum jüngsten Ausbruch auf Madagaskar: Die Pest ist eine Seuche, die die Menschheit durch alle Epochen ihrer Geschichte begleitete und zu tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft führte. Rund um den Globus forderte sie Millionen Opfer, doch ist sie kein Schrecken der Vergangenheit – sie existiert noch heute.

Was ist die Pest? Wo liegen die ältesten Nachweise? Wie sind überlieferte Ausbrüche zu werten? Mit diesen Fragestellungen beginnt die Reise durch die faszinierende und dramatische Geschichte dieser Krankheit. Sie führt über den ersten gut überlieferten Ausbruch im 6. Jahrhundert n. Chr. zunächst bis zum berüchtigten ‚Schwarzen Tod‘, dem ein großer Teil der europäischen Bevölkerung im 14. Jahrhundert zum Opfer fiel. Über die nächsten Jahrhunderte war die Pest ein stetiger Begleiter der Menschen. Sie suchte jede Generation unbarmherzig heim. Aus der völlig unerwarteten Katastrophe war nun eine ständige Bedrohung geworden, die jederzeit tödliche Wirklichkeit werden konnte. Vom Wandel der Voraussetzungen unabhängig drängen sich grundsätzliche Fragen auf: Wie gingen die Menschen mit dieser Gefahr um? Was taten Ärzte, Politiker und Geistliche im Angesicht dieser existenziellen Krise? Und: Welche Auswirkungen hatte die Seuche auf Religion, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft?

Im 18. Jahrhundert verschwand die Pest weitgehend aus Europa, um kurz vor 1900 ein weiteres Mal weltweit Angst und Schrecken zu verbreiten. Auch heute ist das tödliche Potenzial der Krankheit noch immer vorhanden, wie der jüngste, vergleichsweise glimpflich verlaufene Ausbruch 2017 auf Madagaskar gezeigt hat. Die Bewältigungsstrategien haben sich allerdings mittlerweile grundsätzlich verändert …

Die Sonderausstellung „Pest!“ präsentiert anhand von ca. 300 archäologischen und kulturgeschichtlichen Exponaten etwa aus London, Hongkong, und Marseille, aber auch aus Köln, Münster und Bochum die faszinierende Geschichte der Pest und ihre Folgen.

„PEST!“, Blick in die Ausstellung mit der von der Künstlerin Claudia Pomowski gestalteten „Totentanz“-Installation

▼ Fass mit Guy Fawkes-Maske

Fass 2019 Herne, LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum. Eine katholische Verschwörung versuchte zu Beginn des 17. Jahrhunderts den protestantischen König Jakob und alle wichtigen Politiker des Landes umzubringen, indem sie das Parlamentsgebäude sprengen wollten. Das Attentat schlug fehl, weil der Zeitpunkt der Sprengung wegen der Pest mehrfach verschoben werden musste. Der bekannteste Verschwörer war Guy Fawkes, dessen vermeintliche Maske heute weltweit erkannt wird.

▼ „PEST!“ - Pestkreuz (Replik 2019) von Lubbert Schumaker

Im Wald von Leiberg, einem kleinen Dorf bei Bad Wünnenberg im Paderborner Land, befindet sich einer der wenigen Pestfriedhöfe Deutschlands. Ein uraltes Steinkreuz, gut 1 m hoch, erinnert bis heute an die Stelle, an der 400 Männer, Frauen und Kinder beigesetzt worden sind. Sie waren von der „gottgesandten Pestilenz“ hingerafft worden, wie die Inschrift des Steinkreuzes bis heute gut lesbar mitteilt. Der Dorffriedhof hatte seinerzeit die vielen Toten nicht aufnehmen können. Deshalb hatte der Landesherr angeordnet, die Toten gut 2 km entfernt vom Dorf im Wald zu bestatten. Das alles spielte sich im Dreißigjährigen Krieg ab und ist fast 400 Jahre her.

Das Kreuz auf dem Pestfriedhof beim westfälischen Leiberg steht noch heute dort und erinnert an den Ausbruch von 1635.
Rückseite: ‘GOTT / ALLEIN / ZU EHREN / HAT’S LUB / BERT SCHU / MAKER + +’ darüber am Kopf ‘I H S’ das Christusmonogramm

„ANNO 1635 DEN 25. [AV]GVST HAT VNS GOT DIE PESTILENS GESANT.

WIE MANGEM IST BEKANT SINT VOM DORF LEBERG 400 MENSCHEN GESTORBEN,

DENEN GOT DIE SELIKIT ERWO[RBEN].“

 

"Unser liebes Dorf Leiberg (1490 gegründet) am nördlichen Rande des Sauerlandes erlebt im August 1635 mitten in den Wirren des 30jährigen Krieges (1618 - 1648) die dunkelste und traurigste Epoche seiner Geschichte. Ein Bettelmönch aus dem Warburger Land schleppt die fürchterlichste Krankheit jener Tage in die beschaulichen Gassen des Bauerndorfs Leiberg:  Der schwarze Tod hält reiche Ernte."

 

"Die Pest, die Pest, die Pest!" schreien verzweifelt die Menschen. Weit unten im Tal unter Das Leiberger Seuchenkreuz aus 1635einer Linde ("Pestlinde") geht Lubbert Schumaker einer traurigen Arbeit nach: Unablässig sind die wuchtigen  Hammerschläge des Sargschreiners zu hören, der auf dem Leichenplatz mehr als 400 Särge zimmert. Die Seuche hält im Sommer 1635 reiche Ernte in den engen Gassen der strohbedeckten Häuser in Leiberg. In ihrer Not beten die Menschen zu ihrem Schöpfer und erflehen ein Ende der Pest. Am Bartholomäusfest (24. August) findet der Notschrei der Gepeinigten Gehör: Das letzte Pestopfer wird fernab des Dorfes auf dem Pestfriedhof einer wüstgefallenen Kapellengemeinde (Fornholte) im Hochwald zu Grabe getragen.  Seit diesen  Tagen feiern die Leiberger Jahr für Jahr bis zum heutigen Tage ausgelassen ihr Bartholomäusfest ("Battelmai"). Und jährlich zu Pfingsten lösen die Leiberger ein jahrhundertealtes Gelübde ein  und führen von der  St. Agatha-Pfarrkirche  eine Prozession zum zweieinhalb Kilometer entfernt liegenden Pestfriedhof in den Wald. Sargschreiner Lubbert Schumaker, der vermutlich auch seine eigene junge Ehefrau einsargen muss,  errichtet zum Gedenken an die Tragödie ein steineres  Kreuz auf dem Pestfriedhof, das in bewegenden Worten vom Unglück in Leiberg berichtet. Das Leiberger Pestkreuz ist eines  der wenigen Seuchenkreuze in Westfalen.

▼ Hl. Rochus von Montpellier

Ca.1520 Dortmund, Museum für Kunst- und Kulturgeschichte. Der hl. Rochus von Montpellier wurde im ausgehenden Mittelalter als Helfer wider die Pest verehrt. Gemeinsam mit Sebastian war er der wichtigste »Pestheilige« des Abendlands. Allerdings hatte Rochus anders als Sebastian die Pest vermeintlich selbst durchlebt, was seinen Status als Spezialist gegen genau diese Krankheit erklärt. Er ist ikonographisch durch die Pestbeule leicht zuzuordnen.

 
Messkelch Ende 17. Jh. Ebersberg, Pfarrkirchenstiftung St. Sebastian
 
 

Nachbildungen so genannter Pestmasken werden zu einem Kunstwerk arrangiert.
„Dr. Schnabel“ war ein Mythos.

Eine Armee aus Pestmasken: 300 Pestmasken wurden von Freiwilligen und Freunden des Museums in mühevoller Detailarbeit gebastelt.

▼ Grabstein des Baruch ben Elieser, 89 x 125 x 17 cm aus gelbem Sandstein

▲ „PEST!“, das Progrom an den Juden in Speyer 1349, Grabstein des Baruch ben Elieser. Der Grabstein besagt: Hier liegt «Baruch ben Elieser«. Er war ein kluger und reicher Jude.  Er musste aus der Stadt Speyer fliehen. Als da Juden getötet wurden.

▲▲ Grabmalfragment eines Mannes Köln 13./14. Jh. Hülchrath, Privatbesitz

 

▲ Grabstein einer Frau 1249 Strasbourg (F), Musée Historique de Strasbourg Nach dem Sturz der Stadtregierung im Frühjahr 1349 wurden die Juden in Straßburg ermordet. Die Grabsteine des Friedhofs wurden wiederverwendet, z. B. wie dieses Grabmonument von 1249 als Deckel eines Brunnens oder einer Zisterne.

Grabstein des Baruch ben Elieser, der am 11. März 1365 starb. Während die Pest 1349 in Europa wütete, kam es infolge dessen zu sogenannten Pestpogromen gegen Juden. Die christliche Mehrheitsgesellschaft glaubte, dass Juden Brunnen vergiftet und so die Pest ausgelöst hätten. In dieser Zeit nahm der jüdische Gelehrte Baruch ben Elieser verfolgte Juden in seinem Haus auf und versorgte sie. Nach der Vertreibung der Juden 1435 wurde der Friedhof vom Rat der Stadt Speyer konfisziert und an Christen verpachtet. Die Steine wurden abgeräumt und als Baumaterial verwendet. Viele Grabsteine tauchten ab den 1840ern, als wieder neu gebaut wurde, wieder auf. So auch dieser Stein.

Er zeigt, dass die Juden in Zeiten großer Verzweiflung und Not zusammengehalten und ihren Glauben nicht aufgegeben haben. Baruch war selbst Jude und gefährdet, aber er bot Schutz. Füreinander einstehen und einander helfen ist eine gute Tat. Die Geschichte des Baruch zeigt, dass man nie wegsehen soll, wenn jemand in Not ist. Der Text lautet: „Dieses Zeichen (steht) zu Häupten eines tüchtigen Mannes, reich an Werken, ein Mann der Tora, der in ihren Zelten weilt. Und in Zeiten des Zornes gelang ihm sein Handeln, und durch ihn gab der Ewige, gesegnet sei er, dem Volk, ‎‏das dem Schwert entrann, Rettung, und er bestimmte den Bedürftigen Speise und Getreide, und sein Haus  war offen, wie die Wüste, ein Mann, der alles (Gute) in sich (vereint) … Es sei der Wille (Gottes), dass ihm die Welt, die ganz Wohlergehen ist, beschieden sei, mit ganz Israel, Amen“.

Mythen und Medizin
Schmuck und Grabbeigaben
Schmuck und Grabbeigaben
Das nachgebildete Grab mit zwei Skeletten aus Aschheim bei Münster: Die dort 600 n. Chr. Beerdigten starben nachweislich an der Pest.

▲Bei einer Ausgrabung in Aschheim-Bajuwarenring im Jahre 1998 fand man das Doppelgrab, in dem zwei Frauen unterschiedlichen Alters beigesetzt waren. Schon bei der Ausgrabung fiel das Grab durch seine außergewöhnlichen Beigaben auf, darunter auch die gußgleichen Bügelfibeln. Den Frauen war jeweils eine große Bügelfibel mitgegeben worden, die beide zwischen den Oberschenkeln lagen. Eine bestattete Frau schätzt man auf 40–59 Jahre und auf eine Körpergröße von 161 cm. Die Bestattete neben ihr starb als Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren. Interessant ist, dass die Bügelfibeln, die überwiegend paarweise getragen wurden, auf beide Bestattungen aufgeteilt gewesen waren. Dies kann als Indiz für eine verwandtschaftliche Verbundenheit der beiden Frauen, aber auch als Ausdruck für den gemeinsamen Todeszeitpunkt gesehen werden. Aber warum befindet sich genau dieses Exponat in der Sonderausstellung zum Thema Pest?
Bei einer weiteren Untersuchung fanden Anthropologen in den Zähnen der beiden Frauen den Pesterreger Yersinia pestis. Beide Frauen waren nachweislich fast zeitgleich an der Pest verstorben. Dabei vermutet man, dass die Bevölkerung von Aschheim-Bajuwarenring von mehr als einer Pestwelle getroffen worden ist. Einem internationalen Forscherteam aus München, Mainz und Arizona gelang es erstmals unter Beteiligung der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München, Pest-DNA aus Skeletten zu isolieren und zu typisieren.

Rattenkönig (mehrere an den Schwänzen verknotete Ratten) – Alkoholpräparat 1907 Göttingen, Zoologisches Museum der Universität Göttingen
Die Pest in Löwen, anonymes Gemälde von 1578
Der zahllose Tod führte zum Zusammenbruch der Totenfürsorge und somit der Bestattungsrituale. Die Toten wurden vielfach anonym in Massengräber gekippt. Ein solches Szenario zeigt ein Gemälde aus dem Jahre 1578, das die Pest-Epidemie in der Stadt Löwen bildlich festhält.
 
Eine Flasche mit Wasser? Irgendwann wurden die Pestopfer einfach in Flüsse geworfen. Damit den Toten der Himmel nicht verwehrt bleibt, wurden die Gewässer als Friedhöfe geweiht.
 
 
 

507 Aderlassschale 16. Jh. Ingolstadt, Deutsches Medizinhistorisches Museum

Die Aderlassschale diente dem Auffangen des Blutes, das während des Aderlasses aus dem eröffneten Blutgefäß austrat. Ziel des Aderlasses war die Wiederherstellung eines gesunden Gleichgewichts der Körpersäfte. Das Lamm Gottes auf dem Boden der Schale verweist auf Christus als Heiler.

508 Das Schröpfen

508a Schröpfköpfe 16. Jh. Bochum, Medizinhistorische Sammlung der Ruhr-Universität

508b Schröpfschnepper, um 1900 Bochum, Medizinhistorische Sammlung der Ruhr-Universität

511 Räucherpfanne 17. Jh. Leipzig, Karl-Sudhoff-Institut
Üble Dämpfe, Miasmen, verschmutzten die Luft, machten krank, brachten die Pest. Eine Reinigung erfolgte über Rauch, der durch das Verbrennen wohlriechender Substanzen etwa in solchen Räucherpfannen überall dorthin gebracht werden konnte, wo er gebraucht wurde.

Zeugnisse der Pest von Steinzeit bis Neuzeit werden im LWL-Museum dargestellt.
 
Ikone "Lindere meinen Kummer": Pestkranke und deren Angehörige riefen die Gottesmutter um Beistand und Trost in ihrer Zeit der Not an.
 
 

▼ Modell der »Albert Rickmers«

20. Jh., Bremerhaven, Deutsches Schifffahrtsmuseum – Leibniz-Institut für deutsche Schifffahrtsgeschichte

 

Die »Albert Rickmers« war eine hochmoderne Bark. Ihr Einsatz im europäischen Asienhandel steht beispielhaft für das »Zusammenwachsen« der Welt durch den technologischen Fortschritt um 1900. Gemeinsam mit dem Sextanten dient der Chronometer dazu, die exakte Position auf dem Ozean zu bestimmen. Um 1900 gehörten beide zu den wichtigsten technischen Instrumenten für die Navigation und damit für den Fernhandel zur See. Die günstigen Petroleum-Lampen des amerikanischen Unternehmens Standard Oil brachten den Bürgern Chinas helle Lampen – und bedeuteten den Beginn eines intensiven Handels zwischen den USA und dem Reich der Mitte: Petroleum ging nach China, Reis in die USA und nach Europa. Diese neuen Verbindungen erleichterten es der Pest, den Pazifik zu überqueren.

Trinkstubenschild belegt Flucht als Ausweg für obere Schichten

 

Das Trinkstubenschild der Stadt Nördlingen ist nicht nur wegen seines Durchmessers von über einem Meter bemerkenswert. Es dient als einzigartiges Zeugnis der Pest-Flucht vor über 450 Jahren und belegt, was heute noch aktuell ist: Migration ist auch eine Frage des Geldes.

Als 1562 in der Reichsstadt Nürnberg, die damals zu den bedeutendsten Städten nördlich der Alpen zählte, die Pest ausgebrochen war, baten einige Familien aus der Führungsschicht und später auch der Stadtrat die befreundete Reichsstadt Nördlingen um Aufnahme. Diese stimmte zu und ab Ende August 1562 kamen über mehrere Wochen immer mehr Nürnberger mit Familie und Bediensteten in die Stadt. Untergebracht wurden sie in den Privathäusern ihrer Standesgenossen. Die hochrangigen Gäste erhielten Geldgeschenke der Stadt Nördlingen und wurden mehrfach in der Ratstrinkstube bewirtet. Für die Gastfreundschaft bedankte sich der Nürnberger Rat und die Geflüchteten selbst sammelten Geld für die Armen in Nördlingen. Als Geschenk ließen die Nürnberger einen runden Schild für die Ratstrinkstube malen. Darauf zu sehen sind die Wappen der jeweiligen Familien sowie im Mittelpunkt die Nürnberger Wappenelemente mit den beiden Stadtwappen und dem Reichsadler.

 
 
„PEST!“, den Tätern auf der Spur – Arbeitsgeräte der Mikrobiologen und Ärzte um 1900

Ödipus und Antigone oder Die Pest von Theben

Das Gemälde zeigt den geblendeten Ödipus, der von seiner Tochter Antigone aus der seuchengeplagten Stadt Theben herausgeführt wird, um in die Verbannung zu gehen. In Anlehnung an Sophokles’ Tragödie König Ödipus (verfasst um 429 v. Chr.) entstand das Werk des Künstlers C. Jalabert im 19. Jahrhundert.

 
 
 

Sonderaustellung 2010: “Aufruhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen”

"Aufruhr 1225!“ hieß die größte Mittelalterausstellung, die es bisher im Ruhrgebiet gegeben hat: Vom 27. Februar bis 28. November 2010 war die Schau des LWL, ein Projekt von RUHR.2010, im LWL-Museum für Archäologie in Herne zu sehen.
Das Jahr 1225 war ein historischer Wendepunkt für die Region. Während eines Überfalls kommt der Kölner Erzbischof Engelbert, einer der mächtigsten Männer des Reiches, gewaltsam ums Leben. Das Ereignis, das damals die ganze Ruhrregion veränderte, ist Ausgangspunkt der der 1,7 Millionen Euro teuren Ausstellung  über Ritter, Burgen und Intrigen. Die Ausstellung gibt eine Übersicht der mehr als 400 Burgen, die es zwischen Emscher und Ruhr gegeben hat. Auf einer Ausstellungsfläche von 1.500 Quadratmetern inszenierte das LWL-Museum für Archäologie eine Spurensuche nach den Überresten dieser Zeit in der heute vollkommen verwandelten Landschaft an Ruhr, Emscher, Lippe und Rhein. Etwa 1.000 Ausstellungsstücke wie Waffen, Rüstungen, goldene Reliquiare oder Kochgeschirr sowie Nachbildungen zum Anfassen und Ausprobieren zeigten, wie die Menschen im 13. Jahrhundert lebten.

Auf den Spuren eines historischen Kriminalfalles entrollt sich in spannenden Inszenierungen die Geschichte des Ruhrgebietes im Mittelalter. Am Leben und Sterben des Erzbischofs Engelbert von Köln und seines Kontrahenten Friedrich von Isenberg erzählt die Ausstellung von Mord und Fehde, Macht und Niederlagen, Raubrittern und Edelmännern.
Von einem schicksalsträchtigen Mord im Jahre 1225 bis hin zur letzten großen Ritterschlacht zeigt die Großausstellung das mittelalterliche Leben im Ruhrgebiet. Von der Geburt bis zur Grablege, von der Heiratspolitik bis zur Hinrichtung ist das Mittelalter in spannenden Inszenierungen hautnah erlebbar. Auf über 1500 qm Ausstellungsfläche erwartet Sie eine spannende Erlebnisreise in die Welt der Ritter und Burgen. Kostbare Exponate von Weltrang beleuchten die vielen Facetten des mittelalterlichen Ruhrgebiets. Macht, Politik und die vorindustrielle Geschichte der Region werden packend erzählt. Neben „Klassikern“ wie Waffen und Rüstungen, goldenen Reliquiaren oder Kochgeschirr werden auch die kuriosen und unbekannten Seiten dieser Epoche präsentiert. Was machten beispielsweise die blutbefleckten Kleider des ermordeten Erzbischofes auf der Hochzeitstafel des Königs? Warum galten Hände eines Gehenkten als Talisman? Wurden in den Schreibstuben deutscher Klöster auch Urkunden gefälscht?
Der Besuch der Großausstellung ermöglicht Einheimischen und Ortsfremden einen völlig neuen Blick auf die Region an der Ruhr. Denn bis heute bringen viele Menschen mit dem „Ruhrpott“ vor allem rauchende Schlote, staubige Halden, Lärm, Dreck und Fördertürme in Verbindung. Kaum jemand weiß, dass diese Region, die heute der drittgrößte Ballungsraum in Europa ist, im Mittelalter eine der burgenreichsten Landschaften Europas war. Und nicht nur das: Mitten in dieser Region fand im Jahr 1225 mit der Ermordung des Kölner Erzbischofes Engelbert I. ein Ereignis mit weitreichenden Folgen statt. Die Auswirkungen dieses Anschlages prägen in den nächsten Jahren fast das gesamte Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens. Burgen brennen, Adlige werden hingerichtet, unzählige Kleinkriege zerrütten die Region. Das Ausstellungsprojekt ist neben einer umfassenden Mittelalter-Schau auch eine Spurensuche nach den Überresten und Folgen dieser Zeit des „AufRuhrs“ in der heute vollkommen verwandelten Landschaft an Ruhr, Emscher, Lippe und Rhein.
Die Wissenschaftler erarbeiten zur Ausstellung eine Übersicht der vielen hundert Burgen, die es zwischen Ruhr und Emscher gegeben hat. Wie dicht die Burgenbauten waren, wird nicht nur Einheimische überraschen. Viele dieser Burgenbauten waren nicht – wie man es von heute kennt - aus Stein, sondern große Holzwohntürme auf einem Erdhügel; sogenannte „Motten“. Keine dieser Turmhügelburgen ist heute noch erhalten, sodass kaum jemand die verbreitetste Burgenform des 13. Jh. kennt. Im Rahmen der Ausstellung wird eine solche Turmhügelburg in Originalgröße mitten im Zentrum der Stadt Herne auf dem Außengelände des Museums für Archäologie rekonstruiert: 24 Meter hoch und original eingerichtet, als wären die echten Bewohner gerade erst gegangen.
Begleitet wird die Mittelalter-Schau von einem Außenprogramm in elf Burgen und Schlössern der Region. Wer diese Ausstellung besucht, wird das Ruhrgebiet mit neuen Augen sehen!

Mittelalterliche Holzburg zur Ausstellung “Aufruhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen” 2010

Der Bau einer mittelalterlichen Holzburg für 350.000 Euro war eines der aufwendigsten Projekte  zur Ausstellung “Aufruhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen” im Jahr 2010 im Ruhrgebiet. Wochenlang reckte sich auf einem kleinen Hügel vor dem LWL-Museum für Archäologie in Herne ein nagelneuer, originalgroßer hölzerner Burgturm mit Palisade in den wolkigen Himmel, eine sogenannte Motte. Tausende besuchten die „Holzburg wie im Mittelalter“ und schauten von oben über das eher triste Herner Zentrum. Nach Ende der Ausstellung stellte sich natürlich die Frage, wohin mit dem akkurat gezimmerten, 22 Meter hohen Bauwerk (bei dem auch das Stille Örtchen in Form eines Erkers nicht vergessen worden war).

In Herne konnte die Turmhügelburg jedenfalls nicht bleiben. Nun saßen die Geschichtsfreunde auf einem Haufen Bretter, die zusammen einen Burgturm oder ziemlich viel Kaminholz ergaben. Glücklicherweise hatte die Herner Motte eine Zukunft: Und zwar in Neuenrade-Küntrop im Märkischen Kreis. Die Sauerländer hatten im Hochmittelalter ihre Burg Gevern verloren, zerstört durch Graf Engelbert von Berg. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe bot den Neuenradern die Burg als Geschenk an: Wenn sie denn Abbau, Fundamente und Wiederaufbau bezahlen würden. Das gelang: Die nötigen 85.000 Euro kamen innerhalb von drei Jahren durch Spenden herein. Im Oktober 2013 konnte die Herner Motte als Küntropler Motte, beziehungsweise Burg Gevern offiziell wiedereröffnet werden.

 
 

Am 09. Januar 2010 rückten unter großem öffentlichen Interesse Bagger an, um im Rahmen der Ausstellung „Aufruhr 1225! Ritter, Burgen und Intrigen“ auf dem Gelände des LWL-Museums für Archäologie in Herne eine Motte nach historischem Vorbild zu errichten. Die besondere Herausforderung eines originalgetreuen Motten-Nachbaus liegt vor allem darin begründet, dass keine einzige dieser Burgen die Zeiten unbeschadet überdauert hat. Um Hinweise auf den Aufbau eines hölzernen Wehr-und Wohnturms des 13. Jahrhunderts zu erlangen, wurden daher architektonische Vorlagen aus ganz Deutschland zu Rate gezogen. Die Herner Motte ist somit das Ergebnis eines wissenschaftlichen Puzzles. Die Beispiele belegen: Die Motte hätte in dieser Form errichtet worden sein können.

 
 

Die typischste Burgenform unserer Heimat kennt heute fast niemand mehr: die sogenannten “Motten”. Der Begriff "Motte" stammt aus dem Französischen (château á motte), wobei "Motte" so viel wie "Erdklumpen" oder auch "Erdsode" bedeutet. Ein Holzturm auf einem so künstlich aufgeschütteten Hügel war im 13. Jahrhundert eine der häufigsten Burganlagen an Rhein und Ruhr. Motten bestanden üblicherweise aus zwei Teilen: Der eigentliche Mottenhügel lag auf der Hauptburginsel, die von einer Palisade umschlossen war. Neben dem breiten Wassergraben stellte die steil ansteigende Hügelflanke ein wirkungsvolles Annäherungshindernis dar. Der Zugang erfolgte über eine hölzerne Brücke und konnte durch einen Torturm zusätzlich gesichert werden. Auf diesem Mottenhügel befand sich der Wohnsitz des Burgherren und seiner Familie: ein Wohn- und Wehrturm aus Holz oder Stein. Der Turm war oft dreigeschossig, gekrönt von einer Wehrplattform. Weitere Nebengebäude konnten die Bebauung der Hauptburg ergänzen. Diese Hauptburginsel konnte im Falle eines Angriffs als letzte Zuflucht dienen. Die Versorgung mit Wasser wurde über Brunnen gesichert, die auch durch den Mottenhügel eingetieft sein konnten. Die dazugehörige Vorburg auf einer eigenen Insel war ebenfalls mit Palisade und Wassergraben geschützt. Um einen offenen Platz herum waren die Wirtschaftsgebäude wie z.B. Speicher und Lagerräume für Heu, Getreide und sonstige Lebensmittel sowie die Ställe angeordnet.

 
 

Nach Ablauf der Ausstellung Ende 2010 gelang es der Stadt Neuenrade, den Zuschlag für die weitere Verwendung der Motte zu bekommen, um dieser in der Nähe des historischen Burgplatzes Gevern einen dauerhaften Standplatz zu geben. Mittlerweile ist die Motte zu einem prägenden Bauwerk in Küntrop geworden. Die hölzerne Turmhügelburg ist bei einer Höhe von 22 Metern schon von weitem sichtbar. Natürlich hat man von ihr aus auch einen wunderbaren Ausblick. Sogar Trauungen sind auf der Turmhügelburg möglich.

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