Eisenbahnviadukt

Wie ein Relikt aus märchenhafter Vorzeit ragt der Wittener Eisenbahnviadukt über das grüne Ruhrtal. Er überspannt als Eisenbahn-Brücke die Ruhr. Als ein „Viadukt wie aus dem Bilderbuch“ bezeichnet die Route der Industriekultur das Bauwerk. Die mit Natursteinen verkleidete Betonbogenbrücke überspannt auf einer Länge von 716 Metern mit 20 Bögen das Ruhrtal. Die Strecke verläuft über den Viadukt in einem Rechtsbogen mit einem Radius von minimal 500 Metern. Bei einer Breite von 8,2 Metern bedeckt das Bauwerk eine Fläche von 5.877 Quadratmetern. Was muss erst in den Köpfen der Zeitgenossen vorgegangen sein, die die Entstehung dieses monumentalen Prunkbaus aus Stein und Stahl live miterlebt haben? Vor rund einhundert Jahren begann die Errichtung Wittens berühmtesten Baudenkmals.

Am Fuße des Hohensteins beschreibt eine der schönsten Eisenbahnbrücken der Ruhr ihren weiten Bogen über den Fluss bis hin nach Bommern: Der Viadukt. Der Name „Viadukt“ kommt aus dem Lateinischen (via = Weg; ducere = führen) und bedeutet Wegleitung oder Wegführung oder sehr frei übersetzt Trasse. Als Viadukt werden auch mehr oder minder hohe und lange Straßenbrücken oder Brücken für Eisenbahnen bezeichnet, die steigungsarm ein Tal oder eine Senke mit Pfeilern und oft Bögen überspannen. Mit ihrem Verlauf über den Ruhrauen und mit dem Ardeygebirge im Hintergrund  präsentiert sich dem Betrachter ein Bild wie aus dem Modellbahnkatalog. 

Über 20 Bögen erstreckt sich das Viadukt-Bauwerk von einer Seite zur anderen, wobei die Überquerung des Ruhrdeichs am nördlichen Ruhrufer mit drei Bögen aus Stahlfachwerk gefertigt wurde, der Rest des Bauwerks entstand in Massivbauweise die mit Sandsteinquardern verkleidet sind. Die Sandsteinverkleidung setzt sich an der Stützwand der Eisenbahnstrecke entlang der Wetterstraße bis zum Wittener Hauptbahnhof fort. Obwohl der Viadukt jetzt schon gut und gerne 100 Jahre auf dem Buckel hat – die Bauzeit war von 1913 bis 1916 –, reichen die Planungen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Schon in den 1870er Jahren plante man eine neue Eisenbahnstrecke von Witten über Schwelm nach Wuppertal. Diese Pläne wurden jedoch während der als „Gründerkrach“ bekannten Wirtschaftskrise nach 1873 wegen technischer und finanzieller Probleme vorerst auf Eis gelegt. Dennoch drängte die Stadt Witten immer wieder bei der Regierung auf den Ausbau der Eisenbahnbrücke, so dass der preußische Landtag im Jahr 1911 schließlich die notwendigen 22,7 Millionen Mark für den Streckenausbau Witten-Schwelm genehmigte. Der Bau des Viadukts in Witten wurde daraufhin unter Federführung der „Deutschen Reichsbahndirektion Essen“ durchgeführt.

 

Obwohl zu dieser Zeit eine schlichte Ausführung in Beton möglich war, wurde der Viadukt vollständig mit Sandstein verkleidet. Einflussreiche Bürger hatten zuvor massiv gegen eine „Verschandelung“ der Landschaft protestiert, so dass die eigentlich hochmoderne Bauweise sich heute in einer zum Teil sehr traditionellen Architektursprache präsentiert. Aufgrund der unterschiedlichen Konstruktionen in Stahl und Massivbauweise hält sich in der Stadt das Gerücht, der Architekt der Brücke habe sich bei der Ausführung vermessen und den Höhenunterschied durch die Stahlkonstruktion ausgeglichen. Der Fehler war ihm so peinlich, dass er sich später von der Brücke in den Tod gestürzt haben soll. Tatsächlich ist es jedoch so, dass der Untergrund im Bereich des Ruhrdeichs und des Mühlengrabens nicht sehr standfest ist. Aus diesem Grund wählte man an dieser Stelle die Stahlbauweise, da man dadurch größere Spannweiten überbrücken kann. Der Bau des Viaduktes erfolgte in den Jahren von 1913 bis 1916, wahrscheinlich auch unter Einsatz von italienischen Kriegsgefangenen und Gastarbeitern. 

Der 1. Weltkrieg und die darauf folgende Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen verzögerten jedoch eine Inbetriebnahme der Strecke, so dass der Güterzugverkehr  Witten – Wengern erst im Jahr 1926 aufgenommen wurde. Der erste Personenzug fuhr sogar erst im Jahr 1934 von Witten nach Schwelm. Im Juli 1965 wird die Trasse samt Viadukt Schauplatz eines seltenen Schwertransports: Der in der Hattinger Henrichshütte hergestellte Atomreaktor für das Atomkraftwerk Grund-Remmingen wird mit einer Lok der BR 50 im Schritttempo Richtung Bochum gefahren. 1979 wird der öffentliche Personenverkehr nach Schwelm nach nur 45 Jahren eingestellt 1986 endet auch der Personenverkehr auf der Strecke Witten Hbf – Wengern Ost – Hagen Hbf. Doch einige Güterzüge und umgeleitete ICE-Züge sowie historische Lokomotiven überqueren die 20-bögige Brücke auf ihrem Weg nach Hagen noch heute, wenn die Route über den Viadukt für den Güterverkehr oder als Ausweichstrecke genutzt wird. Der südliche Teil der alten Verbindung nach Schwelm wurde mittlerweile ganz stillgelegt. So hat letzten Endes der ganze Planungs- und Bauprozess für Trasse und Viadukt länger gedauert als die reguläre Nutzung. 

Übrig geblieben ist ein wunderschönes Stück Technikgeschichte, das man sich heute kaum mehr aus dem Wittener Ruhrtal wegdenken kann.

 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Eisenbahnviadukt wie aus dem Bilderbuch überspannt das Ruhrtal bei Witten. Mit 20 Bögen, drei davon aus Stahl, verbindet er die Bahnlinien zu beiden Seiten der Ruhr. Die rund 600 Meter lange Bogenbrücke mit oben liegender Fahrbahn wurde 1913-1916 im Zuge der geplanten Bahnlinie Witten - Schwelm errichtet.
Drei Bögen aus Stahlfachwerk über Wetterstraße, Mühlengraben und Ruhrdeich unterbrechen die ruhige Linie der 17 Sandsteinbögen sowie der ebenfalls mit Sandstein verblendeten langen Stützmauer an Wetter- und Gassstraße. Sie wurden seinerzeit weniger als Versuch des Umgangs mit einer neuen Bauweise gesehen. In Verbindung mit der langen Zeitspanne zwischen Fertigstellung und Inbetriebnahme waren sie vielmehr Anlass für Spekulationen über bauliche Mängel, die jedoch keinerlei Grundlage haben. Bei den drei von der renommierten Dortmunder Stahlbau-Firma August Klönne erstellten, extrem schiefen Brückenbögen soll es sich neueren Erkenntnissen zufolge um ein Kompensationsgeschäft gehandelt haben.
Die Fertigstellung der Bahnlinie verzögerte sich noch weit über das Ende des Ersten Weltkrieges und die französische Ruhrbesetzung 1923/24 hinaus. Immerhin konnte der Viadukt ab 1926 für den Güterverkehr auf der Strecke von Witten West (seit 1940: Witten Hbf) nach Wengern Ost und zum Rangierbahnhof Hagen-Vorhalle genutzt werden. Erst am 14. Mai 1934 wurde auch die Strecke Witten – Schwelm endlich eröffnet.
Nach nur 45 Jahren Betriebszeit wurde die Strecke nach Schwelm bereits 1979 wieder eingestellt, 1986 endete auch der Personenverkehr auf der Strecke Witten Hbf – Wengen Ost – Hagen Hbf. Seitdem fahren planmäßig nur noch Güterzüge über den Viadukt. Hin und wieder gibt es aber auch die Gelegenheit, umgeleitete Reisezüge, u. a. auch ICE, zu beobachten und zu fotografieren. Die beste Möglichkeit hierzu bietet sich vom Bergerdenkmal auf dem Hohenstein, einem Panorama der "Route der Industriekultur". Hier eröffnet sich ein großartiger Blick ins Ruhrtal, auf den Viadukt sowie die Stammstrecke der Bergisch-Märkischen Eisenbahn zwischen Wetter und Witten.

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